In einem dreiphasigen Vierleiter-Verteilungssystem ist es in der Branche ein Konsens, dass der Strom auf dem Neutralleiter sehr gering sein sollte, wenn die Drehstromlasten ausbalanciert sind. Allerdings werden diese Vorstellungen zunehmend durch mehr und mehr Phänomene in Frage gestellt.
Ein Beispiel dafür sind die Werbeleuchtkästen rund um ein Gebäude, die Leuchtstoffröhren mit elektronischen Vorschaltgeräten verwenden. Die Lasten auf den drei Phasenleitern sind ausbalanciert, wobei jeder Phasenstrom etwa 90A beträgt, aber der Strom auf dem Neutralleiter erreicht 160A.
Tatsächlich wird das Phänomen eines übermäßig hohen Stroms auf dem Neutralleiter heutzutage immer häufiger beobachtet. Warum tritt trotz ausbalancierter Drehstromlasten noch Strom auf dem Neutralleiter auf, und sogar mehr als 150% des Phasenstroms? Dies wird durch die Gleichrichterschaltung verursacht.
Wenn die Stromform der Phasenleiter eine Sinuswelle ist, und sie 120° versetzt und gleiche Amplituden haben, ergibt ihre vektorielle Überlagerung auf dem Neutralleiter null. Dies ist allgemein bekannt.
Wenn jedoch die Ströme auf den Phasenleitern gepulst und 120° versetzt sind, ergibt sich ihre Überlagerung auf dem Neutralleiter wie in Abbildung 2 dargestellt. Aus Abbildung 3 kann man erkennen, dass die gepulsten Ströme auf dem Neutralleiter verschoben sind und sich nicht gegenseitig aufheben. Wenn man die Anzahl der gepulsten Ströme auf dem Neutralleiter zählt, gibt es drei pro Zyklus, so dass der Strom auf dem Neutralleiter die Summe der Ströme der einzelnen Phasenleiter ist. Gemäß der Berechnungsmethode des effektiven Stromwerts beträgt der Strom auf dem Neutralleiter 1,7-mal den Strom der Phasenleiter.
Da die meisten modernen elektrischen Lasten Gleichrichterschaltungen sind, kann auch bei ausbalancierten Drehstromlasten ein hoher Neutralstrom auftreten. Ein übermäßiger Neutralstrom ist äußerst gefährlich, hauptsächlich aus zwei Gründen: Erstens, die Querschnittsfläche des Neutrals ist in der Regel nicht größer als die der Phasenleiter, so dass ein Überstrom zu Überhitzung führt; zweitens gibt es keine Schutzvorrichtungen am Neutral, so dass er, im Gegensatz zu den Phasenleitern, nicht abgetrennt werden kann, was ein großes Brandrisiko darstellt.
Für einen dreiphasigen sinusförmigen symmetrischen Wechselstrom, mit ausbalancierten Lasten, summieren die Phasenstromvektoren (gleiche Größe, 120° Phasenverschiebung) zu null, so dass der Nullfolgenstrom null ist.
Bei ungleichmäßigen Lasten, ungleiche Stromvektoren (nicht alle 120° Phasenverschiebung), ergibt sich eine nicht-null Summe; der Nullfolgenstrom (ungleichmäßiger Strom) ist kleiner als jeder Phasenstrom.
Wenn die Drehstromlasten nichtlineare Komponenten (z.B. Dioden) enthalten, die Gleichstrom und 3. oder 6. Ordnungsharmonische verursachen, kann der Nullfolgenstrom (arithmetische Summe dieser) den Phasenstrom überschreiten. Zum Beispiel in einer dreiphasigen Halbwellengleichrichter, ist jeder Phasenstrom 1/3 des Laststroms (der Nullfolgenstrom).
In einem dreiphasigen Brückengleichrichter fließt Strom in beiden AC-Halbzügen (symmetrisch, über die Phasen ausgeglichen), so dass kein Gleichstrom oder 3. Ordnungsharmonische vorhanden sind; die Summe der dreiphasigen Ströme ist null (Nullfolgenstrom = 0).
In einem einphasigen Brückengleichrichter fließt Strom in beiden AC-Halbzügen (symmetrisch), so dass kein Gleichstrom oder 3. Ordnungsharmonische im einphasigen Strom vorhanden sind.
Wenn alle Drehstromlasten einphasige Brückengleichrichter sind, so dass trotz Unausgeglichenheit die Summe der dreiphasigen Ströme nicht null ist (Nullfolgenstrom existiert), wird der Neutralstrom den Phasenstrom nicht überschreiten.