Es gibt umfangreiche Literatur zur Analyse von Überspannungen an den Neutralpunkten von Transformern unter Blitzsturmbedingungen. Aufgrund der Komplexität und Zufälligkeit von Blitzwellen bleibt jedoch eine genaue theoretische Beschreibung schwierig. In der ingenieurtechnischen Praxis werden Schutzmaßnahmen in der Regel basierend auf den Vorschriften für elektrische Energiesysteme durch die Auswahl geeigneter Blitzschutzgeräte ermittelt, wobei reichhaltige unterstützende Dokumentationen verfügbar sind.
Übertragungsleitungen oder Umspannwerke sind anfällig für Blitzschläge. Blitzstöße können entlang der Übertragungsleitungen in Umspannwerke eindringen oder direkt auf Umspannwerkgeräte treffen, was zu Überspannungen am Neutralpunkt des Transformers führt, die die Isolierung des Neutralpunkts gefährden. Daher hat es praktische Bedeutung, die Eigenschaften von Überspannungen am Neutralpunkt unter Blitzbedingungen zu untersuchen und die Spannungsbegrenzungswirkung von Schutzgeräten zu bewerten [1]. Dieses Papier präsentiert eine Simulationsstudie mit dem Alternative Transients Program (ATP), der am weitesten verbreiteten Version des Electromagnetic Transients Program (EMTP), basierend auf der Konfiguration eines bestimmten 110 kV-Umspannwerks. Durch die Kombination von Theorien über Blitzüberspannungen und den Isolierungseigenschaften von 110 kV-Transformerneutralpunkten simuliert das Papier Überspannungen am Neutralpunkt unter verschiedenen Blitzwellenbedingungen. Die Simulationsergebnisse werden vergleichend analysiert, und Maßnahmen zur Minderung von Überspannungen am Neutralpunkt werden vorgeschlagen.
1. Theoretische Analyse
1.1 Blitzschlag auf Übertragungsleitungen
Wenn eine Freileitung von einem Blitz getroffen wird, breitet sich eine Wanderwelle entlang des Leiters aus [1]. In Umspannwerken verhalten sich viele kurze Verbindungslinien (z. B. Verbindungen von Transformern zu Schaltanlagen oder Spannungsschutzrichtern) unter dem extrem kurzzeitigen Blitzimpuls ähnlich wie Übertragungsleitungen. Diese Leitungen zeigen schnelle Wellenausbreitung, Reflexion und Brechungsvorgänge, die oft transiente Überspannungen mit sehr hohen Spitzenamplituden erzeugen, die Geräte beschädigen können.
1.2 Parameteranalyse von Y-geschalteten Transformerspulen unter Blitzsturmbedingungen
Dreiphasige Transformerspulen sind in der Regel in Y-, Yo- oder Δ-Konfigurationen geschaltet. Während des Betriebs können Blitzstöße durch eine, zwei oder sogar alle drei Phasen eintreten [1]. Dieses Papier konzentriert sich auf Y-geschaltete Spulen, da nur solche Konfigurationen einen zugänglichen Neutralpunkt haben. Wenn ein Transformer in Yo-Schaltung ist und die gegenseitige Kopplung zwischen den Phasen vernachlässigt wird, kann das System unabhängig von der Anzahl der getroffenen Phasen als drei unabhängige Spulen mit geerdeten Enden analysiert werden.
2. Isolierzustand der Neutralpunkte von 110 kV-Transformern
Neutralpunkte von 110 kV-Transformern verwenden gestaffelte Isolierung, die in 35 kV, 44 kV oder 60 kV-Leveln eingeteilt ist. Derzeit produzieren Hersteller hauptsächlich Transformer mit 60 kV-Neutralpunktisolierung. Verschiedene Isolierungslevel haben unterschiedliche dielektrische Standfestigkeiten, wie in Tabelle 1 dargestellt. Unter Berücksichtigung der realen Bedingungen, Alterung der Isolierung und Sicherheitsmargen für Netzspannungen werden Korrekturfaktoren angewendet. Ein Blitzimpulssicherheitsfaktor von 0,6 und ein Netzspannungssicherheitsfaktor von 0,85 werden verwendet [1], was zu den Referenzstandfestigkeitswerten in Tabelle 1 führt.
Tabelle 1 Isolierstandfestigkeitsgrade / Referenzstandfestigkeitswerte für Neutralpunkte
Isolationsstufe (kV) |
Vollwellen-Blitzimpulsfestigkeit (kV) |
Netzfrequenz-Festigkeit (kV) |
Referenzwert für Blitzimpulsfestigkeit (kV) |
Referenzwert für Netzfrequenz-Festigkeit (kV) |
35 |
185 |
85 |
111 |
72.25 |
44 |
200 |
95 |
120 |
80.75 |
60 |
325 |
140 |
195 |
119 |
3. Simulation und Berechnung
Betrachten wir ein 110 kV-Umspannwerk mit zwei in Parallelschaltung betriebenen Transformern (Y/Δ), zwei 110 kV-Eingangsleitungen und vier 35 kV-Ausgangsleitungen. Das Einleiterdiagramm ist in Abbildung 1 dargestellt. Um die Strömungen bei Einphasen-Erdschlüssen zu begrenzen und Störungen in der Kommunikation zu reduzieren, wird in der Regel nur der Mittelpunkt eines Transformers geerdet, während der andere unvergittert bleibt. Bei Blitzüberspannung kann an dem unvergitterten Mittelpunkt des Transformers eine sehr hohe Überspannung induziert werden, die die Isolation bedroht. Die folgenden Abschnitte präsentieren Simulationsanalysen unter verschiedenen Szenarien mithilfe des ATP-Programms.
Abbildung 1 Einleiterdiagramm des 110 kV-Umspannwerks
3.1 Ausbreitung von Blitzüberspannungen von den Freileitungen ins Umspannwerk
3.1.1 Auswahl der Blitzwellenparameter
Die Hauptursache für Überspannungen in Umspannwerken sind Blitzüberspannungen, die von den Freileitungen ausgehen. Die maximale Spannungsamplitude auf der Leitung darf nicht die U50%-Widerstandsfähigkeit der Isolatoren der Leitung überschreiten; andernfalls würde es vor dem Eintreffen der Überspannung im Umspannwerk zu einem Durchschlag auf der Leitung kommen. Da die ersten 1–2 km der Eingangsleitung in der Regel gegen direkte Blitzschläge geschützt sind, stammen die ins Umspannwerk eindringenden Blitzwellen hauptsächlich aus Schlägen jenseits dieses geschützten Bereichs. Für Blitzschläge außerhalb des Umspannwerks beträgt die Stromstärke, die über Leitungen ≤220 kV ins Umspannwerk eindringt, in der Regel ≤5 kA, und ≤10 kA für 330–500 kV-Leitungen, wobei die Steilheit erheblich reduziert ist [15,17]. Basierend auf diesen Bedingungen wird die Blitzwelle mit einer typischen Doppel-Exponentialfunktion modelliert:
u(t) = k(e⁻ᵃᵗ - e⁻ᵇᵗ),
wobei a und b negative Konstanten sind, und k, a, b durch die Amplitude des Impulses, die Frontzeit und die Schwanzzeit bestimmt werden. Hier wird ein Spitzenstrom von 5 kA und eine Standard-20/50 μs-Exponentialwelle verwendet.
3.1.2 Einstellungen der Geräteparameter im Umspannwerk
Blitzüberspannungen enthalten sehr hochfrequente Harmonische; daher werden die Leitungsparameter im Umspannwerk als verteilte Parameter modelliert. Schalter, Schaltanlagen, Stromwandler (CTs) und Spannungswandler (VTs) im Umspannwerk werden durch äquivalente Shunt-Kapazitäten dargestellt. Die äquivalente Eingangskapazität des Transformers beträgt Cₜ = kS⁰·⁵, wobei S die Dreiphasen-Transformerkapazität ist. Für Spannungsebenen ≤220 kV gilt n=3, und für 110 kV-Transformer k=540. Der Busschutzdiodenstrahler wird als YH1OWx-108/290 ausgewählt, und der Neutralpunkt-Schutzdiodenstrahler als YH1.5W-72/186.
3.1.3 Berechnung und Analyse
Die am Neutralpunkt erzeugte Überspannung unterscheidet sich je nachdem, ob sie lokal geerdet oder unvergittert ist. Simulationen werden für drei Szenarien durchgeführt: Einleitungsschlag mit einer Phase, Einleitungsschlag mit zwei Phasen und Doppelleitungsschlag mit einer Phase, sowohl mit als auch ohne Neutralpunkt-Schutzdiodenstrahler. Die Ergebnisse sind in Tabelle 2 dargestellt.
Tabelle 2 Spitzenüberspannung unter lokal geerdeten / unvergitterten Neutralbedingungen
Eingehende Spannungsspitze |
Neutraler Erdungsstatus |
Spannungsspitze ohne Blitzschutz (kV) |
Spannungsspitze mit Blitzschutz (kV) |
Einfache Leitung, Einphasen |
Lokale Erde |
138.5 |
138.5 |
Lokale Unerde |
224.1 |
186.0 |
|
Einfache Leitung, Zweiphasen |
Lokale Erde |
165.2 |
165.2 |
Lokale Unerde |
248.7 |
186.0 |
|
Doppelte Leitung, Einphasen |
Lokale Erde |
156.3 |
156.3 |
Lokale Unerde |
237.8 |
186.0 |
3.1.4 Ergebnisanalyse
Aus Tabelle 2 geht hervor, dass in Systemen, in denen die Transformatorennullelektrode lokal geerdet ist, der Überspannungsschutz an der Busleitung effektiv die Überspannung begrenzt, so dass die Nullelektrode des ungelöschten Transformers keine hohe Überspannung erfährt und der Überspannungsschutz an der Nullelektrode in der Regel nicht aktiviert wird. In Systemen, in denen die Nullelektrode lokal ungelöschet ist, ist die Überspannung an der Nullelektrode sehr hoch. Ohne einen Überspannungsschutz stellt dies eine schwere Bedrohung für die Isolierung dar (die Blitzimpulswiderstandsspannung eines 110 kV-Transformators mit gestaffelter Isolierung beträgt, unter Berücksichtigung eines Sicherheitsmargens, 195 kV). Die Installation eines Überspannungsschutzes an der Nullelektrode reduziert den Spitzenwert der Überspannung erheblich. Daher stellen Blitze, die von Leitungen ausgehen, keine Bedrohung für die Isolierung einer Nullelektrode dar, die mit einem Überspannungsschutz ausgestattet ist.
3.2 Direkter Blitzschlag auf die Umspannanlage
Obwohl Umspannwerke im Allgemeinen umfassenden Blitzschutz haben, können direkte Blitzschläge, obwohl selten aufgrund der Komplexität und Zufälligkeit von Blitzen, weiterhin vorkommen [2] und zu Geräteschäden führen. Daher ist es notwendig, die durch direkte Blitzschläge verursachten Überspannungen an der Nullelektrode und die entsprechenden Schutzmaßnahmen zu untersuchen.
3.2.1 Auswahl von Blitz- und Umspannwerkparametern
Die Umspannwerkparameter bleiben dieselben wie zuvor definiert. Die Berechnungen werden mit Standardblitzparametern (1.2/50 μs) und Amplituden von 50, 100, 200 und 250 kA durchgeführt. Der Wellenwiderstand des Blitzkanals beträgt 400 Ω.
3.2.2 Berechnung und Analyse
Die Ergebnisse für direkte Blitzschläge auf eine Einphasenbusleitung (zweiphasige Schläge sind selten) unter lokal geerdeten und ungelöschten Nullelektrodenbedingungen sind in Tabelle 3 dargestellt (I und II repräsentieren Fälle ohne und mit Überspannungsschutz an der Nullelektrode).
Tabelle 3 Spitzenüberspannung bei lokal geerdeter / ungelöschter Nullelektrode (direkter Blitzschlag)
Blitzstromamplitude (kA) |
Potentialausgleichsstatus |
I (ohne Blitzschutz) Spitzenüberspannung (kV) |
II (mit Blitzschutz) Spitzenüberspannung (kV) |
50 |
örtliche Erde |
112.3 |
105.6 |
örtliche Nichterde |
187.4 |
186.0 |
|
100 |
örtliche Erde |
145.7 |
138.2 |
örtliche Nichterde |
213.6 |
186.0 |
|
200 |
örtliche Erde |
178.9 |
170.5 |
örtliche Nichterde |
221.8 |
186.0 |
|
250 |
örtliche Erde |
192.4 |
183.7 |
örtliche Nichterde |
224.1 |
224.1 |
3.2.3 Ergebnisanalyse
Wie in Tabelle 3 gezeigt, nimmt die Spitzenüberspannung am Neutralpunkt mit zunehmender Blitzstromamplitude erheblich zu und die Oszillationen werden ausgeprägter. Selbst mit einem Überspannungsschutzschalter nimmt die Restspannung über dem Schutzschalter zu. In Umspannwerken mit ortsfremd geerdeten Neutralpunkten ist die Überspannung am Neutralpunkt aufgrund von Blitzschlägen besonders stark. Selbst mit einem Überspannungsschutzschalter bleibt die Überspannung hoch. So führt zum Beispiel ein direkter Blitzschlag von 250 kA zu einer Überspannung am Neutralpunkt von 224,1 kV. In diesem Fall kann der Transformator trotz des Betriebs des Neutralpunktschutzschalters beschädigt werden.
3.2.4 Diskussion der Verbesserungsmaßnahmen
(1) Installieren Sie einen Überspannungsschutzschalter am Transformatorterminal (z.B. YH10Wx-108/290 für unverdichtete Transformatoren), um die Blitzzusatzüberspannung einzuschränken.
(2) Erhöhen Sie die Entladekapazität des Überspannungsschutzschalters am Neutralpunkt. Der vorhandene Schutzschalter hat eine Entladekapazität von 1,5 kA bei einer Restspannung von 186 kV. Es wird vorgeschlagen, diese Kapazität auf 15 kA zu erhöhen.
Neue Simulationen für einen direkten Blitzschlag an der Busleitung in einem System mit ortsfremdem Neutralpunkt wurden durchgeführt, und die Ergebnisse sind in Tabelle 4 dargestellt.
Tabelle 4 Spitzenüberspannung am Neutralpunkt mit Überspannungsschutzschalter (Verbesserungsmaßnahmen)
Blitzstromamplitude (kA) |
Verbesserungsmaßnahme |
Spitzenüberspannung (kV) |
250 |
Blitzableiter am Transformatorterminal installiert |
224.1 |
250 |
Entladekapazität auf 15 kA erhöht |
186.0 |
Vergleicht man Tabelle 3 und Tabelle 4, ist die Installation eines Blitzableiters am Transformatorenden nicht wirksam, um Überspannungen am Neutralpunkt durch Blitzschlag zu reduzieren. Allerdings verbessert eine signifikante Erhöhung der Entladekapazität des Blitzableiters die Begrenzung von Überspannungen erheblich. Daher wird diese Methode empfohlen. Hersteller von Blitzableitern sollten sich auf technologische Verbesserungen konzentrieren, um die Kapazität des Entladestroms zu erhöhen.
4. Schlussfolgerung
a) Die Installation von Blitzableitern sowohl an der Schienenschiene als auch am neutralen Punkt des Transformators begrenzt effektiv die Überspannung am neutralen Punkt, die durch Blitzwellen aus den Übertragungsleitungen verursacht wird.
b) Wenn ein Umspannwerk einen direkten Blitzschlag erleidet, kann eine hohe Überspannung am neutralen Punkt eines unverdichteten Transformators entstehen. Dieser Effekt tritt in Systemen mit teilweise unverdichteten Neutralpunkten stärker auf, und unter bestehenden Überspannungsschutzsystemen kann die Isolation des neutralen Punkts immer noch beschädigt werden.
c) Die Installation eines Blitzableiters am Transformatorenden hat keinen signifikanten Einfluss auf die Begrenzung der Überspannung am neutralen Punkt; eine Erhöhung der Entladestromkapazität des Blitzableiters am neutralen Punkt ist eine wirksame Methode zur Begrenzung von Überspannungen.